„Somewhere over the Rainbow“ oder: Ännet em Rägeboge

Letzte Woche hatte unsere Tochter Geburtstag. Wenn man fünf Jahre alt wird, bleibt am Geburtstag einen Moment die Welt stehen, wir Erwachsenen haben das nur vergessen! Wie dem auch sei, als Geschenk für dieses monumentale Ereignis wünschte sie sich ein Einhorn, mit der vermeintlich einfachen Erklärung, es könne ja dann bei uns im Schlossgarten leben…

Auf der etwas verzweifelten Suche, wie dieser Wunsch auch nur annähernd in Erfüllung gebracht werden könnte, ohne den Kirchgemeinderat zu verärgern, stolperte ich im Internet über eine ganze Fülle dieser Fabelwesen: auf T-Shirts, Trinkbechern, Turnsäckchen. Die hatten eins gemeinsam: sie waren allesamt weiss mit Regenbogenmähne, eins farbiger als das nächste, eins glitzeriger als das nächste!

Die Einhörner liess ich deshalb rasch zurück in ihrer virtuellen Heimat von Kommerz und Kitsch, aber eine Frage liess mich nicht mehr los:

Wie war das nochmals mit dem Regenbogen? In der Natur empfinden wir sie doch nie negativ, sondern begrüssen sie als ein Wunder des Himmels. Bei Fotografien, Gemälde und eben Einhörnern sieht das nach meinem Geschmack schon ganz anders aus… 

Da stiess ich auf ein Bild, das mich sehr passend dünkt für diese Zeit, die doch auch immer wieder schwer auf uns lastet. Es wurde vor ziemlich genau 200 Jahren gemalt von Joseph Mallord William Turner und befindet sich im Besitz der Tate Gallery in London.
Turner hat zeitlebens viele Regenbogen gemalt, einige davon sind auch sehr naturgetreu.

Dieser nicht!
Ein Himmel, grau-blau, ein Boden, grau-braun, darüber ein Bogen, grau-weiss.
Verwischt, blass, diffus und gleichzeitig unverkennbar.
Es fehlt die Farbe, es fehlt die Sonne, es fehlt das Licht, und trotzdem ist alles da.
Das Gemälde ist signiert, es ist also komplett.

Turners Regenbogen ist nicht naturgetreu, aber man könnte vielleicht sagen, er ist bibelgetreu! Im ersten Buch Mose findet man nämlich diese Worte Gottes zu Noah:
»Ich setze meinen Bogen in die Wolken.
Er soll das Zeichen sein
für den Bund zwischen mir und der Erde.
Wenn ich Wolken über der Erde aufziehen lasse,
erscheint der Bogen am Himmel.
Dann denke ich an meinen Bund mit euch
und mit allen Lebewesen.
Nie wieder soll das Wasser zur Sintflut werden,
um alles Leben zu vernichten.« (1. Mose 9, 13-15)

Gott verspricht Noah und uns allen also gerade nicht, als Zeichen des Bundes und der Treue eine Farbenpracht strahlen zu lassen, sondern nur, ab und zu einen Bogen in die Wolken zu setzen. 

Mich dünkt, dieses biblische Bild und das Gemälde, das vielleicht davon inspiriert wurde, ist voller Trost und Zuversicht für uns in diesem langen Winter. Die ausgegrauten Farben verwischen nicht die Eintönigkeit unserer Einsamkeit, die diffusen Konturen nehmen ernst das Fehlen von Freude und Kontakten.

Und trotzdem: da steht ganz eindeutig ein Regenbogen und damit das Versprechen Gottes, dass die Sonne wieder scheinen wird, dass die Unbeschwertheit wieder einziehen werden darf, dass Gott selbst uns nicht fallen lässt, sondern ins Licht führt. Vielleicht ist dieses Zeichen nur schlecht zu sehen, vielleicht blitzt es nur ab und zu auf am Horizont, doch es weist sonnenklar auf die Verheissung dahinter:

Gott ist bei uns,
jenseits von Kitsch und Kommerz,
jenseits aller Regenbogen.
Gott lässt uns nicht im Stich
und schon gar nicht im Regen stehen!
Amen

Henriette Cann-Guthauser

Bildlegende:
Joseph Mallord William Turner, The Rainbow (c. 1820)  (c) Tate Gallery London Image released under CC-BY-NC-ND 3.0 (Unported):
https://www.tate.org.uk/art/artworks/turner-the-rainbow-d17182