„Des Tages Jammer“

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Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen
am Himmel hell und klar.
Der Wald steht schwarz und schweigt,
und aus den Wiesen steiget
der weisse Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille
und in der Dämmrung Hülle
so traulich und so hold
als eine stille Kammer,
wo ihr des Tages Jammer
verschlafen und vergessen sollt.

Reformiertes Gesangbuch Nr. 599

„Grossmueti, was isch „des Tages Jammer“?“ tönt leise die Stimme eines vierjährigen Mädchens beim Zubettgehen im Familienskilager. Ja, ein Liedtext, der vor über 250 Jahren gedichtet wurde, ist Kindern heute fast so unverständlich als wäre er in einer Fremdsprache verfasst.

Dafür sind die Gedanken und Gefühle, die in der altbekannt tröstlichen Melodie zum Ausdruck kommen, auch heutigen kleinen (und GROSSEN!) Menschen wohl vertraut. Ja, was ist „des Tages Jammer“? Wir alle leben doch mit kleinen (und GROSSEN!) Sorgen, mit Lasten, die unseren Alltag beschweren, mit Ängsten, die wir mit uns herumtragen. Jetzt mehr denn je. Manche wissen, andere spüren so zum Beispiel in diesen Vollmondtagen instinktiv, dass die Schöpfung uns noch lange nicht alle ihre teils auch fürchterliche Geheimnisse preisgegeben hat. Jetzt mehr denn je!

Auch der Trost, der uns gemäss dem Lied das Gebet oder ein Spaziergang bei Mondschein zukommen lassen kann, ist eine zeitlose Botschaft: So endet das Lied mit der Bitte, dass wir doch ruhig schlafen mögen „und unsern kranken Nachbarn auch.“ In diesem Sinne: gute Nacht! Seien Sie behütet.

(hc)