Studienreise zur Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe

Was die weltweite Kirche von deutschen Kirchen lernen kann #evrefK22

von Andreas Anderfuhren

Statements deutscher Akteure kommen mir an der Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe recht forsch und herausfordernd vor. Schon für meine schweizer Ohren – mehr noch für orthodoxe Zuhörende. Was diese deutschen Stimmen aber gemacht haben – sowohl von kirchlicher als auch von politischer Seite her: Sie fingen mit einem Schuldeingeständnis an. Was für einen Unterschied das macht! Es rückt die ganze Aussage in ein anderes Licht. Man kann etwas Hartes und Herausforderndes ganz anders sagen, wenn man damit anfängt, was man selbst falsch macht und wo man selbst umkehren muss. Zuhörende können besser daran anknüpfen.

Das ist zutiefst christlich! Wir wissen: Ein guter Weg in die Zukunft muss mit Umkehr anfangen – metanoia. Das wissen auch Orthodoxe. Umkehr spielt eigentlich in der orthodoxen Theologie eine zentrale Rolle. Manchmal scheint es, dass sie jedoch rein geistlich gefüllt wird – und weniger Niederschlag im praktischen, politischen, Leben findet. Wenn es gelingen würde, mehr am Wert von Umkehr anzuknüpfen – könnten wir ganz anders miteinander reden. Dann könnten die zukünftigen Gespräche mit und zwischen Orthodoxen ganz anders ablaufen.

Auch bei Statements von Akteuren zum Nahost-Konflikt hat mir diese Haltung gefehlt. Vielleicht wäre der recht konfrontative regionale Abend der Nahost-Delegationen des ÖRK anders – produktiver – verlaufen, wenn die Sprechenden dem Beispiel der deutschen Stimmen gefolgt wären: Anfangen mit einem Eingeständnis der eigenen Schwäche und dem Willen zur Umkehr.

Impression aus der Studienreise

Rückblick auf die erste Hälfte der Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe

von Eva Steiner

Nach einer ersten Phase des Zurechtfindens und der Orientierung faszinierte mich von Beginn weg die besondere Stimmung auf dem Gelände der Vollversammlung. Sei es am Rande eines Anlasses, sei es beim Anstehen fürs Essen, sei es an einem der Esstische – überall kann ich mit Menschen aus der ganzen Welt ins Gespräch kommen. Dieser persönliche Austausch ist sehr befruchtend und geht vielfach auch ins Persönliche über.

Einen ganzen Tag an den Plenarveranstaltungen teil zu nehmen empfinde ich als anstrengend. Es gibt häufig lange Einleitungen oder Selbstdarstellungen der eigenen Kirche, die sicher teilweise sinnvoll sind, es aber erschweren, dem Vortrag bis zum Ende konzentriert zu folgen. Auf der anderen Seite kann eine einzelne kurze Rede zu einem Höhepunkt werden: So das Grusswort der Muslima Azza Karam, die über die Liebe Jesu Christi sprach, die universell sei und deshalb auch für sie gelte. Sie ermahnte uns eindrücklich, diese Liebe in Taten zu leben.

Reden, feiern, beten, singen

Gespräche sind das eine, gemeinsam zu feiern, zu beten und zu singen das andere. Die Morgenandachten berühren mich sehr. Sie finden – mit Übersetzungen in Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch – in den Sprachen der anwesenden Teilnehmenden statt und das sind Viele. Zudem kann die unterschiedliche Art, eine Andacht zu feiern erlebt werden. Und am Schönsten ist es, Lieder aus der ganzen Welt mit einer guten instrumentalen und chorischen Begleitung zu singen. Ich finde es berührend, den freudigen Ausdruck in den Gesichtern der Dirigierenden zu sehen, wenn die Versammlung ein Lied aus ihrer Heimat singt.

In den Workshops begegne ich den Problemen, mit denen die Kirchen in ihren Ländern zu kämpfen haben in persönlichen Berichten von Menschen, die sich engagieren. Es ist schwierig und belebend zugleich. Schwierig, weil mir immer wieder bewusst wird, wie wenig ich einerseits zur Verbesserung der Lage bei ihnen beitragen kann und wie gross andrerseits der Anteil der sogenannt «westlichen Welt» an ihren Schwierigkeiten ist. Belebend, weil die vielen kleinen Initiativen zur Förderung der Frauenarbeit oder zur Bekämpfung der Wasserknappheit beispielsweise mir auch Mut machen und mir zeigen: Es bringt etwas, es gibt Menschen, die mit grossem Einsatz etwas verändern.

Das Angebot an Veranstaltungen und Kultur an der Vollversammlung und an weiteren Orten in Karlsruhe ist riesig, für mich besteht die Gefahr, mich zu verzetteln. Das Wochenende bot nun Gelegenheit, die Erfahrungen zu reflektieren. Der Ausflug ins Kloster Maulbronn war eine schöne Abwechslung und bot Gelegenheit in wechselnden Gesprächen unsere Gruppe besser kennen zu lernen.

Nun freue ich mich sehr auf den zweiten Teil der Volllversammlung.

3. Tag der Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe

Europa und der Ukrainekonflikt

von Bernd Berger

Der Freitag stand unter dem Thema Europa und im Zentrum war die Diskussion über den Ukrainekonflikt. Vor dem Plenum gab es ein mit standing ovations bedachtes Grusswort der Generalsekretärin von Religions for Peace Prof. Azza Karam. Sie unterstrich, dass die Liebe Christi nicht nur den Christ:innen gilt, sondern allen Menschen, auch ihr als Muslima und sie bat die Versammlung, alles dazu beizutragen, dass Krieg keine Option sein darf.

Nach der Rede von Bundespräsident Steinmeier und der harschen Verlautbarung der Delegation der Russisch-Orthodoxen Kirche, die Steinmeier Einmischung in innerkirchliche Angelegenheiten vorwarf, durfte man auf die heutige Plenarsession gespannt sein. Der geschäftsführende Generalsekretär Prof. Ioan Sauca hatte ja zu Beginn der Versammlung betont, dass der ÖRK niemand ausschliesst, sondern eine Plattform des Dialogs ist, ein «safe space» und gleichzeitig die Teilnehmenden aus der Ukraine herzlich begrüsste und den russischen Angriffskrieg mit klaren Worten beim Namen nannte.

Humanitären Aufgaben der Kirchen

Wer im Plenum einen Dialog zwischen Vertretern aus der Ukraine und Russland erwartet hatte, wurde enttäuscht. Die Bühne der Schwarzwaldhalle wäre dafür sicher auch kein geeigneter Rahmen gewesen. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Dialog im kleinen Kreis am Rande der Versammlung möglich wird und Schritte der Annäherung gegangen werden. Im Plenum kamen dafür Vertreter:innen aus der Ukraine zu Wort, die uns eindrücklich auf ihr Schicksal und die humanitären Aufgaben der Kirchen hinwiesen. Man darf diesen Entscheid, auf die Stimme der Opfer zu hören, durchaus als klare Stellungnehme des ÖRK zugunsten der Opfer dieses Konflikts und gegen die russische Aggression verstehen.

Podiumsdiskussion im Swisshub

Im Swisshub der EKS fand eine Podiumsdiskussion “Being Protestant in Europe today, contributing to reconciliation and unitity” statt. Engagiert diskutierten Annette Kurschus, Präses der EKD, Emmanuelle Seyboldt, Präsidentin der Eglise Protestant Unis de France und die Präsidentin der EKS Rita Famos miteinander und stellten sich den Fragen des Publikums. Dabei wurde deutlich, wie unterschiedlich die Rolle der Kirche in den drei Ländern ist, mit welchen gemeinsamen Herausforderungen sie aber auch konfrontiert sind.örk tag 3-1

Plenumsdiskussion im Swisshub der EKS

2. Tag der Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe

Klimagerechtigkeit und die Situation im Nahen Osten

von Bernd Berger

Vielstimmig, vielsprachig und bunt – die Gottesdienste an der Vollversammlung sind ein Erlebnis. Sie vermitteln eine Ahnung des Pfingstgeistes. Berührend war heute eine Zeremonie, in der Vertreter:innen aller Weltgegenden Wasser in ein Becken schütteten. Abgeschlossen wurde die Zeremonie mit den Worten: «Wir werden ernährt, versorgt und miteinander verbunden. Wir sind angewiesen auf alles Leben auf unserem Planeten. Wir sind durch die Taufe in Christus vereint. Wir sind gereinigt. Wir sind gesegnet.

Das thematische  Plenum stand unter dem Thema “The purpose of God’s love for the whole creation – reconciliation and unity”. Im Zentrum standen Fragen der Klimagerechtigkeit und die Situation im Nahen Osten.

«Macht mit» statt «Macht über»

Hyunju Bae aus Korea legte in ihrer Bibelarbeit Mt 9,35-38 aus. In der Zürcher Bibel heisst es: Als er (Jesus) die vielen Menschen sah, taten sie ihm leid. Die Lutherbibel übersetzt «es jammerte ihn». Die englische Übersetzung «he had compassion with them» bringt viel deutlicher zum Ausdruck, worum es an dieser Stelle geht. Bae führte uns vor Augen, wie zentral compassion/Mitgefühl für das Verständnis Jesu ist und zeigte auf, dass compassion eine wichtige Führungsqualität ist. Die Nachfolge Jesu führt zu einem Bewusstseinswandel. Statt einer «Macht über» brauchen wir eine «Macht mit», die von Anerkennung und Respekt geprägt ist gegenüber allen Geschöpfen Gottes. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. In der ökumenischen Bewegung ist in letzter Zeit von einer «Ökumene der Herzen» die Rede. Ein hilfreiches Leitbild für die gemeinsame Nachfolge auf dem Weg des mitfühlenden Jesus.

Am Abend des 2. Versammlungstages trafen sich die unterschiedlichen Konfessionen, die Reformierten unter dem Dach des Reformierten Weltbundes. Es war ein eindrückliches Zeichen reformierter Vielfalt und weltweiter Verbundenheit. In diesem Rahmen wurde der ehemalige Generalsekretär des Reformierten Weltbundes Jerry Pillay aus Südafrika für sein neues Amt als Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen gesegnet und mit einer Bibel geschenkt. Pillay zeigte sich sehr gerührt von dieser Zeremonie. Er dankte für das Geschenk und meinte, es könne für einen Reformierten kein passenderes Geschenk geben als Gottes Wort.

1. Tag – Start der Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe

Eröffnungstag

von Bernd Berger

Nach über 50 Jahren findet wieder eine VV des ÖRK auf europäischem Boden statt. Dass der Tagungsort Karlsruhe meine Heimatstadt ist, freut mich natürlich besonders. In der Schwarzwaldhalle habe ich mein erstes grosses Konzert besucht (Uriah Heep). Nun treffen sich in Karlsruhe rund 4000 Christ:innen aus aller Welt, rund 850 sind Delegierte der Mitgliedskirchen, die in diesen Tagen wichtige Entscheidungen über den weiteren Kurs des ÖRK treffen und den Zentralausschuss wählen.

Am Eröffnungstag sprachen die Moderatorin des Zentralausschusses des ÖRK Dr. Agnes Abuom und der geschäftsführende Generalsekretär Prof. Dr. Ioan Sauca. Sauca betonte in seinem eindrücklichen Bericht, dass der ÖRK eine Plattform des Dialogs sei und schilderte die Bemühungen des ÖRK, die russisch-orthodoxe Mitgliedskirche in einen kritischen Dialog zu bringen. Besonders herzlich wurden die ukrainischen Teilnehmenden begrüsst. Im Blick auf den Palästinakonflikt unterstrich Sauca, dass der ÖRK sich entschieden gegen Antisemitismus wende, jedoch Menschenrechtsverletzungen und Unrecht gegen die palästinensische Bevölkerung beim Namen nenne. Er berief sich auf den Dialog mit den Christ:innen in der Region und mahnte zu Vorsicht und Besonnenheit und wandte sich gegen eine Gleichsetzung der israelischen Politik mit der Apartheid.

Heisse Eisen an der ÖRK

Zu Gast war auch der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der als aktives Mitglied der reformierten Kirche in seinem Grusswort eindrücklich das Logo der Vollversammlung thematisierte und mit seinem Aufruf, sich gegen jede Form des Antisemitismus klar zu positionieren, eines der heissen Eisen der Versammlung und den deutschen Kontext ins Spiel brachte. In sehr deutlichen Worten drückte Steinmeier die Solidarität mit der Ukraine aus, verurteilte den russischen Angriffskrieg und den Missbrauch des christlichen Glaubens durch die Führung der russisch-orthodoxen Kirche. Man solle sich durchaus als Plattform des Dialogs verstehen, dürfe dem Dialogpartner aber unangenehme Wahrheiten nicht ersparen. Man darf gespannt sein, wie die weiteren Diskussionen auf der Vollversammlung zu diesen Themen verlaufen werden.

Ein eindrückliches Erlebnis war der Eröffnungsgottesdienst. Das bunte Miteinander von Christ:innen und Christen aus aller Welt, die miteinander singen und beten, hat sich mir eingeprägt und die Vorfreude auf die Gottesdienste und Bibelarbeiten der kommenden Tage verstärkt. Dass er ein buntes Potpourri war und ziemlich lange dauerte, war zu verschmerzen.

Spannende Plenumsveranstaltungen

Gespannt bin ich auch auf die thematischen Plenumsveranstaltungen. Wie wird hier in Karlsruhe über den Ukrainekrieg diskutiert werden? Wie wirkt sich der deutsche Kontext auf die Diskussionen zu Israel/Palästina aus? Welche Rolle werden Fragen des Postkolonialismus oder Genderthemen spielen? Was können die Kirchen gemeinsam zur Klimagerechtigkeit beitragen? Oder zu den brennenden Themen weltweiter Gerechtigkeit? Was heisst Einheit der Kirche heute und welche Einheit wollen wir anstreben? Und vor allem: kann das Thema der Vollversammlung «Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt» uns geistlich stärken und ermutigen, unsere christliche Verantwortung in dieser Welt wahrzunehmen und uns dabei untereinander respektvoll und geschwisterlich darüber zu verständigen, wozu die Liebe Christi uns bewegt?

Bewegt von diesem Auftakt erwarte ich neugierig und gespannt auf die kommenden Tage.